Haushaltsrede der PIRATEN-Fraktion im Rat der Landeshauptstadt Hannover, gehalten am 23. Februar 2012 von Dr. Jürgen Junghänel

Lie­be Zuhörer,
Herr Ratsvorsitzender,
Herr Oberbürgermeister,
lie­be Kol­le­gin­nen und Kollegen,

seit heu­te mor­gen um 9.30 Uhr sit­zen wir hier in die­sem Saal. Unser offi­zi­el­les The­ma ist der Haus­halt, genau­er gesagt: der Haus­halt des Jah­res 2012 und das Haus­halts­si­che­rungs­kon­zept für die Fol­ge­jah­re, kurz HSK VIII. Geschla­ge­ne drei Stun­den haben wir alle seit­dem damit ver­bracht, mehr oder weni­ger span­nen­de Reden zum Haus­halt 2012 und zum HSK VIII zu hören.

Ob alle hier die gan­ze Zeit zuge­hört haben? Ob jetzt alle mir zuhö­ren wol­len? Bei bei­dem bin ich mir nicht ganz sicher.

Sicher bin ich mir aber, dass die Haus­halts- und Finanz­po­li­tik in Han­no­ver nach wie vor eine Män­ner­do­mä­ne ist. Vor mir spra­chen fünf Män­ner. Und nur eine Frau. Die Geschlech­ter-Quo­te ist nicht im Min­des­ten erfüllt. Und trotz­dem habe ich hier bis jetzt kei­nen Auf­schrei dazu gehört. 

Ver­ehr­te alte Häsin­nen und Hasen,

- Herr Rats­vor­sit­zen­der, ich zitie­re gera­de den Ober­bür­ger­meis­ter, der die­sen Begriff in sei­ner Ein­brin­gungs­re­de brachte –

also, ver­ehr­te Hasen und Häsinnen,

offen­sicht­lich berührt das Gleich­stel­lungs­the­ma doch vie­le hier in die­sem Saal sehr. Des­we­gen möch­te ich eini­ge Wor­te zum The­ma sagen. Die CDU-Frak­ti­on hat bean­tragt, die Gleich­stel­lungs­ar­beit künf­tig als wesent­li­ches Pro­dukt im Haus­halt aus­zu­wei­sen. Damit wäre mehr Trans­pa­renz in die­sem Bereich her­ge­stellt. Das fin­den wir gut und unter­stüt­zen die­sen Antrag.

Lie­be Gäs­te auf der Tribüne,

viel­leicht hat sich Ihnen die glei­che Fra­ge gestellt wie uns: Wie kann es eigent­lich sein, dass der Rat erst Ende Febru­ar über einen Haus­halt beschließt, der bereits ab dem 1. Janu­ar gel­ten soll? Zwei Mona­te sind bereits ver­stri­chen. Das Etat-Recht, das Recht also, über die Finan­zen unse­rer Lan­des­haupt­stadt zu ent­schei­den, ist das wich­tigs­te Recht, wel­ches wir als Rats­mit­glie­der haben.

Wir, die Rats­mit­glie­der, sol­len die­se Auf­ga­be im Auf­trag der Bür­ger erfül­len. Kön­nen wir die­ser Auf­ga­be wirk­lich gerecht wer­den? Haben alle hier im Rat wirk­lich die fach­li­che Kom­pe­tenz dafür? Etwa die Hälf­te von uns sind Rats­neu­lin­ge, so wie wir von der PIRATEN-Fraktion.

Ver­ehr­te Kol­le­gin­nen und Kollegen,

haben Sie in den weni­gen Wochen seit ver­gan­ge­nem Novem­ber, seit Beginn der neu­en Rats­pe­ri­ode, die Sys­te­ma­tik des Haus­hal­tes voll­kom­men ver­stan­den? In allen sei­nen Ver­äs­te­lun­gen? Wir sind so frei zuzu­ge­ben, dass uns dies nicht gelun­gen ist. Aber wir haben etwas ande­res ver­stan­den: Die wirk­li­che Kom­pe­tenz liegt bei Fach­leu­ten in der Ver­wal­tung. Der Haus­halts­ent­wurf kommt aus der Ver­wal­tung, ist die gro­be Richt­schnur für die Debatte.
Zusam­men mit dem HSK VIII umfasst der Haus­halts­ent­wurf rund 1.000 Sei­ten. Das Gan­ze wiegt mitt­ler­wei­le über zwei­ein­halb Kilo­gramm. Der Haus­halts­plan kann also in jeg­li­cher Hin­sicht als schwe­re Kost bezeich­net werden.
Als Rats­mit­glie­der haben wir gegen­über den so genann­ten Nor­mal-Bür­gern das Pri­vi­leg, dass wir frei­en Zugriff auf den gesam­ten Haus­halts­plan-Ent­wurf der Ver­wal­tung haben. Und: die Ver­wal­tung hat uns alle erbe­te­ne Unter­stüt­zung gege­ben bei unse­rem Ver­such, den Haus­halt und sei­ne Sys­te­ma­tik zu ver­ste­hen. Wir möch­ten uns hier aus­drück­lich für die gedul­di­ge Hilfs­be­reit­schaft der Mit­ar­bei­ter des Fach­be­rei­ches Finan­zen bedan­ken, die uns mit unse­ren vie­len Fra­gen nicht allein gelas­sen haben.

Wir hät­ten noch viel mehr Fra­gen stel­len kön­nen, haben es aber gelas­sen, denn schnell war für uns als Rats­neu­lin­ge einer klei­nen Zwei-Per­so­nen-Frak­ti­on klar: Wir kön­nen den Gesamt­etat nicht im Detail durch­drin­gen. Und wir haben schnell den Gedan­ken ver­wor­fen, einen Gegen­ent­wurf, gar einen kom­plet­ten, ent­wi­ckeln zu wol­len. Das wäre ver­mes­sen, beson­ders in den ers­ten Wochen unse­rer neu­en Fraktion.

Es gibt wei­te­re Grün­de, war­um wir uns zurück­ge­hal­ten haben. Einer ist, dass wir etli­che Ansät­ze des vor­ge­leg­ten Haus­halts­ent­wur­fes posi­tiv bewer­ten. Ein ande­rer ist, dass es hier zwei Mehr­heits­frak­tio­nen gibt, die ohne­hin weit­ge­hend machen kön­nen, was sie wollen.

Wir brau­chen nur auf die heu­ti­ge Tages­ord­nung zu schau­en und sehen unter TOP 8: Die meis­ten Ände­rungs­an­trä­ge zum HSK VIII sind röt­lich-grün. Die­se Anträ­ge wer­den alle­samt abge­nickt, selbst wenn die Ver­wal­tung im Ein­zel­fall — intern wie öffent­lich — Beden­ken ange­mel­det hat.

Neh­men wir die Grund- und die Bet­ten­steu­er. Gera­de Sie, Herr Weil, ken­nen sicher das Gefühl, sich in wich­ti­gen Punk­ten nicht durch­set­zen zu kön­nen. Für die Oppo­si­ti­on ist so ein Gefühl eher die Regel denn die Aus­nah­me. War­um soll­ten dann wir als Oppo­si­ti­ons-PIRA­TEN den Ver­such unter­neh­men, uns voll­stän­dig auf die immense Mas­se der Daten und Details ein­zu­las­sen? Hät­te der Ver­such wirk­lich Sinn, sich in jedes noch so klei­ne Detail der schwie­ri­gen Haus­halts­ma­te­rie ein­zu­ar­bei­ten? Wir den­ken: Nein.

Lie­be Zuhörer,

des­we­gen haben wir nur einen ein­zi­gen Etat-rele­van­ten Antrag gestellt, von dem wir über­zeugt sind, dass er die Zustim­mung nicht nur der Lin­ken erhal­ten muss, son­dern auch von Grü­nen und SPD:

Wir sind gegen die wei­te­re Kür­zung des Etat­an­sat­zes für das Bür­ger­bü­ro Stadt­ent­wick­lung Han­no­ver e.V. Es geht um die beschei­de­ne Sum­me von 20.000 Euro, im Gesamt-Haus­halt ein Klein­be­trag, für die Akti­ven des Bür­ger­bü­ros aber von erheb­li­cher Bedeutung.

Mit der Bür­ger­be­fra­gung zur Expo 2000 hat­te Han­no­ver ein Zei­chen gesetzt. Aber nicht nur die Befra­gung als sol­che war bemer­kens­wert, son­dern auch die Vor­be­rei­tung: Da stat­te­te der Staat ein Büro mit einem Etat aus, um die Geg­ner eines Pro­jek­tes zu unter­stüt­zen. Damals setz­te sich in Han­no­ver die Erkennt­nis durch: Sol­che logis­ti­sche Unter­stüt­zung von Bür­ger­be­we­gun­gen auf dem Feld der Stadt­ent­wick­lung ist sinn­voll und nötig.

Fol­ge­rich­tig wur­de dann 1995 das Bür­ger­bü­ro gegrün­det. Es ist Ihr Kind, lie­be Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen von Grü­nen und SPD. Und Sie sind gera­de im Begriff, die­ses Kind in den Brun­nen zu werfen.

„Bür­ger­be­tei­li­gung und bür­ger­schaft­li­ches Enga­ge­ment sind heu­te gera­de­zu selbst­ver­ständ­li­cher Bestand­teil kom­mu­na­ler Pla­nun­gen und gehö­ren untrenn­bar zu vie­len Berei­chen des Lebens in einer Stadt­ge­sell­schaft. In Han­no­ver gibt es eine lan­ge Tra­di­ti­on, dass sich Bür­ge­rin­nen und Bür­ger für ihre Mit­men­schen ein­set­zen, sich in die Ent­wick­lung der Stadt ein­mi­schen, ihre Fähig­kei­ten dem All­ge­mein­wohl zur Ver­fü­gung stel­len. … Teil die­ser Tra­di­ti­on ist … das Bür­ger­bü­ro Stadt­ent­wick­lung. Es beglei­tet Pla­nungs­pro­zes­se, regt zu Refle­xi­on und Dis­kus­si­on an, berät bei Stadt­teil­pro­jek­ten, infor­miert über Betei­li­gungs­me­tho­den, initi­iert Beteiligungsprojekte.“
Jetzt hät­te ich mich über Bei­fall gefreut — und zumin­dest von der SPD erwar­tet. Wenigs­tens von Ihnen, Herr Ober­bür­ger­meis­ter, müss­te deut­li­che Zustim­mung kom­men. Denn: die letz­ten fünf Sät­ze sind Ihre Wor­te. Ich habe Sie wört­lich zitiert. Die­se Sät­ze stam­men aus Ihrem Vor­wort zur Publi­ka­ti­on „Werk­statt für Bür­ger­be­tei­li­gung“. Es ist noch gar nicht so lan­ge her, dass Sie auch den nach­fol­gen­den Satz schrie­ben bzw. unter­schrie­ben. Ich zitie­re: „Für die Arbeit des Bür­ger­bü­ros Stadt­ent­wick­lung … bedan­ke ich mich herz­lich und wün­sche für die Zukunft alles Gute.“

Lie­ber Herr Weil, gilt das jetzt alles nicht mehr? Oder konn­ten Sie mit Ihrer Posi­ti­on auch hier nicht lan­den bei den mehr­heits­s­at­ten Rats­frak­tio­nen von SPD und Grü­nen? Jeden­falls will ich nicht hof­fen, dass Sie in die Fuß­stap­fen eines Ex-Minis­ter­prä­si­den­ten und Ex-Bun­des­prä­si­den­ten tre­ten wol­len. Chris­ti­an Wulff hat mit sei­nem Han­deln unter dem Mot­to: „Was schert mich mein Geschwätz von ges­tern?“ größ­ten poli­ti­schen Flur­scha­den hin­ter­las­sen. Wol­len Sie etwa schon vor einem mög­li­chen Wahl­sieg im Land die­sen Weg beschreiten?
Die Bür­ge­rin­nen wol­len ehr­li­che Poli­ti­ker, kei­ne Winkeladvokaten.

Und zur Ehr­lich­keit gehört auch ein trans­pa­ren­ter Haus­halt. Es nützt wenig, wenn der Haus­halt – teil­wei­se – im Inter­net ein­seh­bar ist. Zah­len­ko­lon­nen und lan­ge Tabel­len, umrahmt von Haus­häl­ter-Deutsch, ver­steht kein nor­ma­ler Mensch. War­um gibt es kei­nen wirk­lich les­ba­ren Haus­halt, also mit aus­führ­li­chen Erklä­run­gen? War­um stel­len wir die Zusam­men­hän­ge von Ein­nah­men und Aus­ga­ben nicht im Detail dar? War­um erklä­ren wir den Bür­gern den Haus­halt nicht so, dass jeder ihn unein­ge­schränkt ver­ste­hen kann?

Herrscht in die­sem Saal und in der Ver­wal­tung etwa Angst davor, dass die Bür­ger zu viel Kom­pe­tenz erhal­ten? Dass die Bür­ger mög­li­cher­wei­se eige­ne Ideen zum Umgang mit den vor­han­de­nen Res­sour­cen ent­wi­ckeln, die von unse­ren Ideen oder denen der Ver­wal­tung abweichen?

Ver­ehr­ter Herr Dr. Hansmann,

in etli­chen ande­ren Städ­ten gibt es bereits Bür­ger­haus­hal­te; die­se haben teil­wei­se Modell­cha­rak­ter, sind unter­schied­lich ange­legt, aber zei­gen im Ergeb­nis eines ganz deut­lich: Die Bür­ger sind in ihrer Gesamt­heit kei­nes­wegs so dumm, wie man­che Ver­wal­tung sie sieht, wie man­che Poli­ti­ker sie sehen wollen.

Herr Hans­mann, von Ihnen kam im Jahr 2010 der Impuls für einen Stra­te­gie­dia­log über die Finanz­kri­se in der Stadt. Dies sehen wir als eine mehr oder weni­ger zag­haf­te Initia­ti­ve für einen Bür­ger­haus­halt in Han­no­ver. Sie woll­ten unse­re Lan­des­haupt­stadt auch in die­sem Bereich nach vor­ne brin­gen. Der Rat hat da in sei­ner Mehr­heit lei­der nicht so recht mitgespielt. 

Ver­ehr­te Kol­le­gin­nen und Kollegen,

der ent­spre­chen­de Vor­stoß der Ver­wal­tung war rich­tig. Des­we­gen soll­ten wir über­le­gen, gemein­sam mit der Ver­wal­tung wei­ter in die­se Rich­tung zu gehen. Wir wis­sen sehr wohl, dass ein durch­set­zungs­fä­hi­ger Antrag in Han­no­ver der­zeit nur ein Antrag sein kann, der for­mell von SPD und Grü­nen ange­sto­ßen wird. Wir sind bereit, in die­ser Fra­ge kon­struk­tiv mit allen zusam­men zu arbei­ten. Wir haben uns ver­schie­de­ne Par­tei­en ange­schaut und gese­hen: in vie­len Par­tei­en gibt es Bürgerhaushalt-Befürworter.

Geschätz­te Grüne,

in vie­len ande­ren Städ­ten waren es Ihre Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, die Initia­ti­ven für Bür­ger­haus­hal­te ergrif­fen haben, nur in Han­no­ver ist von Ihnen nichts der­glei­chen zu ent­de­cken. Herr Schlie­ckau, aus­weis­lich der Pro­to­kol­le des Ver­wal­tungs­aus­schus­ses und des Rates haben Sie vor rund fünf Jah­ren sinn­ge­mäß erklärt: Noch sei die Zeit in Han­no­ver nicht reif für einen Bür­ger­haus­halt. Wann ist denn die Zeit reif, nach Ihrer Ansicht?

Wenn es in ganz Deutsch­land Bür­ger­haus­hal­te gibt und Han­no­ver als Schluss­licht durchs Ziel läuft? Gibt es hier im Rat tat­säch­lich kei­ne Mehr­heit für einen Bür­ger­haus­halt? Das wol­len wir nicht glau­ben. Also, packen wir es gemein­sam an, mei­ne Damen und Her­ren, über Frak­ti­ons­gren­zen hinweg. 

Dass ein frak­ti­ons­über­grei­fen­der Kon­sens not­wen­dig ist, um in Han­no­ver etwas zu errei­chen, bele­gen auch die Erfah­run­gen mit der Haus­halts­dis­kus­si­on. Wir fin­den sehr ehren­wert, dass bei­spiels­wei­se die CDU-Frak­ti­on sich an einem Gegen­ent­wurf zum Haus­halt abge­ar­bei­tet hat. Aber was nützt all die Mühe, wenn doch eh alles über­stimmt wird? Auch die Lin­ken kön­nen davon ein Lied singen.

Nicht zu ver­ges­sen — die Bezirks­rä­te: Wir sind sehr gespannt, was heu­te im Rat mit all den Anträ­gen der Bezirks­rä­te geschieht, die hier gesam­melt auf dem Tisch lie­gen. Vor Ort, in den Bezir­ken, ist die größ­te Bür­ger­nä­he, dort ist die bes­te Chan­ce auf Demo­kra­tie zum Anfas­sen. Natür­lich hat­ten ins­be­son­de­re die vie­len neu­en Bezirks­rats­mit­glie­der Schwie­rig­kei­ten, den Haus­halt zu durchdringen.

Das trifft auf Mit­glie­der unse­rer Par­tei genau­so zu wie auf die Neu­lin­ge aus den ande­ren Par­tei­en. Gleich­wohl haben vie­le enga­gier­te Bezirks­rats­mit­glie­der sich auf­wen­dig ein­ge­ar­bei­tet und fun­dier­te Ände­rungs­an­trä­ge ent­wi­ckelt. Viel­fach ent­stan­den so an der Bezirks-Basis par­tei- bzw. frak­ti­ons­über­grei­fend deut­li­che Mehr­hei­ten. Aber was ist mit die­sen Anträ­gen dann in den Aus­schüs­sen passiert?

Mei­ne Damen und Herren,

für uns ist die span­nen­de Fra­ge: Wird sich unser Rat heu­te mehr­heit­lich genau­so ver­hal­ten, wie es in den ver­gan­ge­nen Jah­ren üblich war? In der Ver­gan­gen­heit wur­de das Meis­te in den Aus­schüs­sen und vom „Hohen Rat“ schnö­de zur Kennt­nis genom­men. Und letzt­lich niedergestimmt.

Wer­den auch heu­te wie­der all die Anträ­ge und Vor­schlä­ge, die mit hoher Basis­kom­pe­tenz ent­stan­den sind, mehr­heit­lich schlicht zur Kennt­nis genom­men und abgelehnt? 

Poli­tik- und Poli­ti­ker­ver­dros­sen­heit, auch Par­tei­en­ver­dros­sen­heit, ver­ehr­te Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, hat Wur­zeln. Hier und heu­te liegt es an uns: Wol­len wir die Abwen­dung der Bür­ger von unse­rem Sys­tem wei­ter beför­dern? Oder rei­ßen wir das Ruder end­lich rum?

„Klar­ma­chen zum Ändern!“ — Das ist unser Mot­to. Wir laden Sie herz­lich ein, mit uns unter die­sem Mot­to gemein­sam gegen­zu­steu­ern. Die poli­tisch Inter­es­sier­ten wür­den es Ihnen dan­ken. Und die Bezirks­rä­te jed­we­der Cou­leur sowieso.

Ich kom­me zurück zum Rat:

Ver­ehr­te Oppo­si­ti­ons-Kol­le­gen von links bis rechts, bei fast allen von Ihnen gibt es Punk­te, bei denen wir Ihnen zustim­men. Und wel­che, bei denen wir ande­rer Ansicht sind. So kön­nen wir etwa mit Ihrem oft­mals arg plat­ten Popu­lis­mus, wer­te Han­no­ve­ra­ner, nichts anfan­gen. Mit Ihren Posi­tio­nen wol­len wir gene­rell nicht iden­ti­fi­ziert werden.

Auch von der FDP tren­nen uns Wel­ten, zum Bei­spiel, was Ihre Vor­stel­lun­gen zur Pri­va­ti­sie­rung anbe­langt, zum Aus­ver­kauf öffent­li­chen Eigentums. 

Der Vor­stel­lung der CDU in Hin­sicht auf die Umge­stal­tung des Trammplatzes/​Friedrichwalls kön­nen wir fol­gen, nicht aber Ihren Vor­stel­lun­gen zum Rasch­platz­pa­vil­lon, ver­ehr­te Christ­de­mo­kra­ten. Die­ses Kul­tur­zen­trum, das vor vie­len Jah­ren von einer Bür­ger­initia­ti­ve durch­ge­setzt wur­de, teil­wei­se gegen die herr­schen­de Poli­tik, zählt zu den Schät­zen unse­rer Stadt. Und ver­dient unser aller Unter­stüt­zung. Ohne Einschränkungen!

Eine Bet­ten­steu­er übri­gens, egal in wel­cher Höhe, sehen wir wie Sie von CDU und FDP, wie Sie, Herr Weil, eher skeptisch.

Und zur Grund­steu­er darf ich erneut ein Zitat anbrin­gen: „Die Erhö­hung der Grund­steu­er birgt die Gefahr in sich, dass sie von Haus- und Grund­be­sit­zern auf die Mie­te abge­wälzt wer­den kann. Solan­ge es kei­ne Ein­wir­kung auf Mög­lich­kei­ten zur Ver­hin­de­rung unge­recht­fer­tig­ter Miet­erhö­hun­gen gibt, lehnt die“ — und jetzt sage ich erst mal: die XYZ-Frak­ti­on — „eine Erhö­hung des Grund­steu­er­he­be­sat­zes ab.“

Lie­be Gäs­te, ver­ehr­te Damen und Herren,

raten Sie mal, von wel­cher Frak­ti­on die­ses Zitat stammt?

Ich darf es auf­lö­sen: Das Zitat stammt aus dem Jahr 1982. Es stammt von der GABL, genau­er gesagt von Lud­wig List, dem Mit­be­grün­der der Grün-Alter­na­ti­ven-Bür­ger­lis­te, dem Vor­läu­fer der heu­ti­gen Grünen-Fraktion.

Schon damals gab es in die­ser Stadt ein Defi­zit, was die Ein­be­zie­hung der Bür­ger anbe­langt. Und wenn ich schon bei der His­to­rie bin, darf ich noch ein Zitat brin­gen, aus jenen Auf­bruch-Jah­ren: „Wir wer­den kei­ne eta­blier­te Par­tei, auch die Grü­nen nicht. Wir wer­den im Grund­satz einer neu­en Form in die­sem Par­la­ment wei­ter­hin treu blei­ben.“ So klan­gen die GABL-Ver­tre­ter im Jahr 1983. Das ist lan­ge her, lie­be Grü­ne. Wir dür­fen Sie hier ein­mal an Ihre Wur­zeln erinnern.

Luk List, unter die­sem Namen ken­nen ihn hier im Saal vie­le, hat die GABL irgend­wann ver­las­sen. Sie wis­sen es: er war bis Ende Okto­ber 2011 Rats­herr, zuletzt bei der Links-Frak­ti­on. Nun ist er raus.

Aber was ist aus denen gewor­den, die bei den Grü­nen blie­ben? Sie haben jede Wen­dung und Häu­tung der Grü­nen mit­ge­macht bis zur Dau­er-Mit­re­gent­schaft im Rat. Sie bzw. ihre Nach­fol­ger haben die Schlie­ßung von Biblio­the­ken mit­ge­tra­gen, kämp­fen nun am lau­tes­ten für die Bet­ten­steu­er und eine über­mä­ßi­ge Erhö­hung der Grundsteuer.

Wie sieht Ihre „neue Form“ heu­te aus? Grü­ne Grün­der ver­tei­di­gen vehe­ment das Kita-Essens­geld, sit­zen selbst aber mitt­ler­wei­le recht kom­mod an den Fleisch­töp­fen, man­che auch an üppi­gen Vege­ta­ri­er-Schüs­seln mit viel Bio drin – in jedem Fall auf gut bezahl­ten Pos­ten bei der Stadt- und Regionsverwaltung.

Damit bin ich — in gewis­ser Wei­se — beim The­ma „Nach­hal­tig­keit“ angekommen.

Herr Ober­bür­ger­meis­ter,

in Ihrer Ein­brin­gungs­re­de hat­ten Sie das The­ma Nach­hal­tig­keit als wich­ti­gen Bau­stein der Stadt­stra­te­gie bezeich­net. Nach­hal­tig­keit fängt im Klei­nen an, auch bei uns. Des­we­gen drän­gen sich uns auch Fra­gen auf, die Ihnen auf den ers­ten Blick viel­leicht lächer­lich erscheinen:

Ein­gangs hat­te ich gesagt, dass uns pro Rats­mit­glied zwei­ein­halb Kilo­gramm Papier belas­ten. Das sind der Haus­halts­ent­wurf und das HSK VIII. Rech­nen wir das zusam­men und bezie­hen die Exem­pla­re für die Bezirks­rats­frak­tio­nen mit ein, kom­men wir auf ins­ge­samt rund 460 kg Papier.

Immer­hin ist das Umwelt­pa­pier. Aber bei der Pro­duk­ti­on wur­den den­noch rund 500 kg des schäd­li­chen Treib­haus­ga­ses CO 2 frei­ge­setzt. Und es wur­den etwa 11.500 Liter Was­ser benö­tigt. So viel ver­braucht ein Erwach­se­ner in einem Vierteljahr.

Und hier, mei­ne Damen und Her­ren, schließt sich jetzt ein Kreis. Vor­hin hat­te ich dar­über gespro­chen, dass der Haus­halt ver­ständ­li­cher wer­den muss, dass wir wirk­li­che Trans­pa­renz in die­sen Vor­gän­gen brau­chen. Trans­pa­renz bedeu­tet auch Ver­öf­fent­li­chung, kom­plet­te Ver­öf­fent­li­chung im Inter­net. Wären der Haus­halt und a l l e Infor­ma­tio­nen um ihn her­um früh­zei­tig — und voll­stän­dig! — im Inter­net ver­öf­fent­licht, könn­ten auch wir selbst damit arbei­ten. Wie viel weni­ger Papier hät­te bedruckt wer­den müs­sen? Wie viel weni­ger Was­ser wäre ver­braucht worden …

Trans­pa­renz ist eine der Kern­for­de­run­gen der Pira­ten­par­tei. Kon­se­quen­te Trans­pa­renz ist nicht nur ein Instru­ment der Bür­ger­infor­ma­ti­on und der Bür­ger­be­tei­li­gung. Nein, kon­se­quen­te Trans­pa­renz kann so auch ganz uner­war­te­te Aus­wir­kun­gen haben. Hier führt sie zu Res­sour­cen­scho­nung und Umweltschutz.

Unse­re For­de­rung nach Trans­pa­renz ist zugleich eine zeit­ge­mä­ße Fort­schrei­bung der Baum­schutz­sat­zung, ist in mehr­fa­cher Hin­sicht unser Bei­trag zur Nachhaltigkeit.

Mei­ne Damen und Herren,

nun habe ich Ihnen eini­ges dazu gesagt, was wir PIRATEN von den Vor­gän­gen rund um den Haus­halt hal­ten, vom Gro­ßen und Gan­zen und vom All­ge­mei­nen. Aber, Hand aufs Herz — wie sieht es denn nun kon­kret aus mit den PIRATEN und dem Haus­halt? Was sagen wir Poli­tik­neu­lin­ge denn nun zu all den vie­len Vor­schlä­gen, die da auf dem Tisch lie­gen? Zum Haus­halt, zum Siche­rungs­kon­zept und zu all den Ergänzungsanträgen?

Wie Sie sich vor­stel­len kön­nen, ist das nicht ganz ein­fach. Ich hat­te es schon gesagt: Wir sind Neu­lin­ge. Und wir geben offen zu, dass wir den Haus­halt nicht voll durch­drun­gen haben. 

Gleich­wohl: Man­ches fin­den wir gut, mit man­chem haben wir Probleme.

Wir haben uns des­halb ent­schlos­sen, in die­sem — unse­rem ers­ten – Jahr, hier im Rat den Joker zu zie­hen. Wir wer­den uns zum Haus­halt selbst der Stim­me ent­hal­ten. Hin­ge­gen wer­den wir dem Haus­halts­si­che­rungs­kon­zept zustim­men, wenn auch mit Bauchschmerzen.

Dort hal­ten wir die grund­sätz­li­che Rich­tung, mit der das Haus­halts­er­geb­nis ver­bes­sert wer­den soll, auch unter dem Gesichts­punkt der Gene­ra­tio­nen­ge­rech­tig­keit für gera­de noch ver­tret­bar — auch wenn in vie­len Ein­zel­punk­ten unse­re Fra­ge­zei­chen bleiben. 

Die kom­men­den Mona­te und Jah­re wer­den wir sehr auf­merk­sam ver­fol­gen. Sei­en Sie ver­si­chert: So ein­fach wie dies­mal kom­men Sie uns in Zukunft nicht davon.

Vie­len Dank.

4 Gedanken zu „Haushaltsrede der PIRATEN-Fraktion im Rat der Landeshauptstadt Hannover, gehalten am 23. Februar 2012 von Dr. Jürgen Junghänel“

  1. Hal­lo Dirk,

    glaub­haft, glaub­wür­dig und rhe­to­risch gelun­gen. Glück­wunsch und wei­ter so.
    80/​20 Prin­zip poli­tisch gut umge­setzt. Aber auch 20 % machen Arbeit, die Dir /​ Euch als Ehren­amt nur schlecht genug peku­ni­är ent­lohnt werden.
    Umso mehr Respekt vor der gelun­ge­nen Leistung.
    Das Ehren­amt, das Bür­ger im Kom­mu­nal­par­la­ment aus­üben sol­len, ist in den heu­ti­gen kom­mu­nal­ver­fas­sungs­recht­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen die Auf­for­de­rung zur Selbstausbeutung.
    Da hat der BPräs.-Kandidat Gauck wohl recht — zu recht­fer­ti­gen nur aus „Frei­heit in ange­nom­me­ner Verantwortung”.

  2. eine sehr lesens­wer­te Rede, sehr schön sind die vie­len klei­nen Quer­ver­wei­se und Spit­zen zu den ande­ren Par­tei­en. Beson­ders das Zitat des OB 😉

  3. wirk­lich eine tol­le Rede, Hut ab. Jür­gen du hast ja super Zita­te und Fak­ten aus der Ver­ana­gen­heit mit ein­ge­bracht. Wir haben wirk­lich Glück dich alten han­no­ve­ri­schen Hasen im Rat sit­zen zuha­ben. Danke!

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