Liebe Zuhörer,
Herr Ratsvorsitzender,
Herr Oberbürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich erinnere mich noch gut an den Zeitungsartikel: In der U‑Bahnstation Waterloo würden neue, hoch auflösende Kameras installiert, damit die nahe Polizei bei einem Notfall schnell davon mitbekäme. So hieß es damals. Wer aber, und darauf möchte ich hinaus, wer aber von der Kamera nicht aufgezeichnet werden möchte, der könne sich einfach an dem am Boden aufgemalten Bereich orientieren. Nur dieser würde von der Aufzeichnung erfasst. Ich habe diesen Bereich dann selbst viele Male gesehen: Wer ihn nicht betrat, wurde nicht gefilmt. Ganz einfach! Wissen Sie noch wann das gewesen ist?
Ich lasse das für den Moment noch mal offen, aber Sie werden mir zustimmen: Die Zeiten haben sich seitdem erheblich geändert. Wenn man — so wie damals in der U‑Bahn — aufgezeichnete Bereiche markieren wollte wäre heute die ganze Stadt voll gestrichelter Linien. Die Überwachung ist längst allumfassend.
Laut niedersächsischem Datenschutzbeauftragten hat sich die Zahl kommunal betriebener Kameras niedersachsenweit im letzten Jahrzehnt mehr als verachtfacht! Und das ist nur die Spitze des Eisberges bei den vielen anderen öffentlichen, halböffentlichen und privaten Betreibern von Kameras und Überwachungstechnik.
Diese rasante Entwicklung hat zur Folge, dass von den gut gemeinten Markierungen am Boden lediglich kleine Schildchen an Laternenmasten übrig geblieben sind. Auf diesen steht: „Dieser Bereich wird zu Ihrer Sicherheit videoüberwacht!“
Das sind: eine Information und eine Behauptung.
„Irgendwo steht eine Kamera.“ = Information.
Und: „Sie sind dadurch sicherer.“ = Behauptung.
Was bedeutet „Sicherheit“, meine Damen und Herren?
Wir hatten das Thema eben schon, da hieß es: „Sicherheit“ sei Licht in der Eilenriede. Aber anders herum, lässt sich „Sicherheit“ belegen, „Sicherheit“ durch Kameras nämlich?
Rund 500 Kameras hat der niedersächsische Datenschutzbeauftragte in der Bahnhofstraße, zwischen Bahnhof und Kröpcke, im Jahr 2009 gezählt. 500 Kameras! Trotzdem wurde die dortige Sparkassen-Filiale im Jahr 2010 dreimal überfallen. Ohne dass die Täter gefasst werden konnten. Und übrigens auch ohne dass sich die Täter von der geballten Ansammlung von Überwachungstechnik hätten abschrecken lassen. „Sicherheit“ wurde so von diesen Kameras auf jeden Fall nicht erzeugt.
In 267 Verfahren hat die Polizeidirektion Hannover in den Jahren 2006 bis 2010 Aufzeichnungen ihrer Videokameras zur Unterstützung ihrer Ermittlungen verwendet. Diese Zahl hat kürzlich die Landesregierung mitgeteilt. Auf eine entsprechende Anfrage übrigens der Grünen im Landtag, die ja gerade „sehr zahlreich“ hier vertreten sind. Aber wie häufig waren denn diese Aufzeichnungen jetzt für den Ermittlungserfolg ausschlaggebend? Wie häufig gab es keinen Erfolg, trotz dieser Bilder? Bei wie vielen anderen Vorgängen waren gar keine Kamerabilder im Spiel? All dies erfahren wir nicht! Ein Schelm, der Böses dabei denkt!
Meine Damen und Herren,
die mittlerweile allumfassende Aufzeichnung und Überwachung des öffentlichen Raumes wirkt sich zwangsläufig auch auf das öffentliche Leben aus. Aber wie?
Die Änderungen sind schleichend. Stück um Stück werden wir eine überwachte Gesellschaft. Wollen wir das? Diese Frage muss sich unsere Stadtgesellschaft stellen. Zu dieser Frage muss diese auch Stellung beziehen. Wir als Rat sind das politische Zentrum der Stadtgesellschaft und deshalb sind das Fragen, die auch uns unmittelbar betreffen, zu denen wir Stellung beziehen müssen. Natürlich kann man sagen: „Hey, das sind nicht unsere Kameras. Die stellt die Bahn auf, die üstra oder die Polizei.“ Aber diese Kameras erfassen das Leben der hannoverschen Bürger, auch unser Leben und deshalb sind das eben doch unsere Kameras. Wir haben das Recht und die Pflicht uns mit ihnen zu beschäftigen. Und der Zeitpunkt dafür ist jetzt und hier.
Meine Damen und Herren,
wir stehen für eine freie Gesellschaft selbstbestimmter Bürger und ich hoffe inständig, dass sich alle Anwesenden in dieses „Wir“ einbezogen fühlen – und auch alle, die derzeit vor der Tür sind. Freiheit und Selbstbestimmung bedeutet, dass ich als Bürger mich eben nicht jederzeit für mein Handeln und Sein rechtfertigen muss. Genau ein solcher Rechtfertigungsdruck entsteht aber durch die ständige Videoüberwachung. In der Piratenpartei wird bei der Diskussion dieser Thematik gern der nordamerikanische Staatsmann Benjamin Franklin zitiert: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.“
An diesem Satz meine Damen und Herren, an diesen Satz muss ich jedes Mal denken, wenn ich an den Laternen vorbeigehe, mit diesen kleinen blauen Aufklebern, die mir erzählen, dass dort „zu meiner Sicherheit“ videoüberwacht wird.
An was denken Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen?
Vielen Dank!
(Anmerkung: Es folgen Redebeiträge von Ratsmitgliedern der anderen Fraktionen, danach spricht noch einmal Dirk Hillbrecht.)
Liebe Beobachter und liebe Beobachtete,
jetzt haben wir Einiges gehört zu dem Thema. Auf ein paar Dinge möchte ich jetzt eigentlich ganz gerne eingehen. Ich habe häufiger gehört, Kameras würden schützen. Aber wie? Sollen die dann von ihrem Pfahl herunter springen und irgendjemanden zu Hilfe eilen?
Das Beispiel mit den U‑Bahn-Schlägern zeigt: das funktioniert eben nicht so einfach. Und wenn Sie einerseits sagen, da werden Leute geschützt, und andererseits eben Beispiele anführen, wo Leute schwer verletzt werden, dann finde ich das schon in sich widersprüchlich, sage ich mal. Das Entscheidende erscheint mir dabei, dass wir, der Begriff fiel hier ja auch, von einem Sicherheitsgefühl reden. Ein Sicherheitsgefühl ist aber eben nicht wirkliche Sicherheit. Und wirkliche Sicherheit ist eigentlich nur das, was uns tatsächlich hilft. Und insofern denke ich, greift dieser Gedanke nach einer gefühlten Sicherheit hier zu kurz. Schließlich wurde hier immer wieder gesagt, diese Kamerastandpunkte müssen geprüft werden. Geprüft werden die, alle werden geprüft. Es gibt Datenschutzbeauftragte etc.
Trotzdem werden es immer mehr Kameras. Trotzdem haben wir absurde Anzahlen von Kameras in dieser Stadt, zum Teil in der Bahnhofstraße. Das ist gar nicht so ein Problem des Prüfens, sondern es ist ein gesellschaftliches Problem. Dass man diese Kameras will, ob man diese Kameras will. Dass darüber eventuell nicht genug diskutiert wird. Und deswegen ist es ein Problem, das sich nicht auf diese Weise lösen lässt.
Ich möchte, meine Damen und Herren, einmal kurz weiterdenken, wie nämlich ein solches Szenario sich weiter entwickelt. Auf europäischer Ebene gibt es da das Projekt INDECT (Intelligent information system supporting observation, searching and detection for security of citizens in urban environment) — das steht, es ist eine englische Abkürzung, frei übersetzt inetwa für ein „intelligentes Informationssystem, das die Überwachung und die Sicherheit von Bürgern in einer städtischen Umgebung unterstützt“. Da sind so genannte Sicherheitsstrategen, die sich darunter vorstellen, dass dieses System in Echtzeit Kamerabilder analysieren soll, Personen darauf automatisch erkennt und dann automatisch Profile dieser Personen erstellt. Dazu werden Polizeidatenbanken durchsucht, dazu wird aber beispielsweise tatsächlich auch auf öffentliche Facebook-Profile oder Ähnliches zugegriffen. Und damit will man dann das Verhalten Einzelner vorhersagbar machen. Damit wir alle dann, und das ahnen Sie jetzt vielleicht, damit wir alle dann „sicherer“ werden.
Etwas anderes werden wir durch so ein Vorgehen aber auf jeden Fall. Denn wir werden verdächtig. Denn in dieser Welt von INDECT ist erst einmal jeder und alles verdächtig. Hannoversche Fußballfans werden bei einem Testlauf solcher Systeme wohl übrigens zu unfreiwilligen Versuchskaninchen. Nämlich im Rahmen der Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine. INDECT soll ausdrücklich in städtischen Umgebungen eingesetzt werden. Hannover, und da werden Sie mir Recht geben, Hannover ist so eine städtische Umgebung.
Trotzdem hoffe ich, dass wir alle uns immer gegen den Einsatz solcher Techniken in unserer Stadt wenden werden. Egal, ob wir nun gefragt werden oder nicht. Denn es kann eben nicht in unserem Sinne sein, dass jeder Bürger Hannovers immer und überall verdächtig ist.
Zu Beginn dieser Aktuellen Stunde habe ich von der Einrichtung einer Kamera am Waterloo und den Markierungen dort erzählt. Ich hatte offen gelassen, wann damals diese „neuartige“ Kamera installiert wurde. Meine Damen und Herren, das war im Jahr 2001. Das ist gerade einmal elf Jahre her. Längst ist die U‑Bahnstation „Waterloo“ bis in den letzten Winkel videoüberwacht. Diese Markierungen auf dem Boden aber, die hat nie jemand entfernt. Sie können die heute noch sehen. Aber besser sollte ich sagen: Sie können die heute noch besichtigen. Denn sie nehmen sich in der heutigen Zeit ein wenig veraltet aus. Wie eine Schreibmaschine oder ein Wählscheibentelefon. Aber sie stehen für eine Zeit, in der der Zugang zum Thema „Überwachung der Gesellschaft“ noch ein anderer war. Ich spreche von einer Zeit, in der ein selbstverständliches Bürgerrecht galt. In der man nicht auf Schritt und Tritt gefilmt oder „zur eigenen Sicherheit“ videoüberwacht wird.
Es gilt für uns, dieses Recht wieder mehr in den Blick zu nehmen. Und es liegt an uns als Rat, die öffentliche Diskussion darüber neu zu beleben. Ich wünsche mir eine freie, offene Gesellschaft, in der wir nicht zu permanenten Objekten kontrollierender Beobachtung werden. Heute gilt mehr denn je, was Benjamin Franklin vor über 300 Jahren sagte: “Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.“
Vielen Dank!
* beantragt von der PIRATEN-Fraktion