Aktuelle Stunde im Rat: Die Landeshauptstadt, das Logistikzentrum und der Landtagswahlkampf

Die PIRA­TEN-Frak­ti­on hat­te zur Sit­zung des Rates der Lan­des­haupt­stadt Han­no­ver am 12. Juli 2012 eine Aktu­el­le Stun­de bean­tragt, die die­sen Namen wirk­lich ver­dient: „Die Lan­des­haupt­stadt, das Logis­tik­zen­trum und der Land­tags­wahl­kampf.” Nach­fol­gend doku­men­tie­ren wir die Rede, die der stell­ver­tre­ten­de Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de Dirk Hill­brecht gehal­ten hat:

 

„Herr Vor­sit­zen­der,

mei­ne Damen und Herren,

all­ge­schätz­te Amazonen,

net­te Netradaisten,

lie­be Logis­tik­fans und Freun­de fai­rer Löhne,

was ist ein Logis­tik­zen­trum? Ein Logis­tik­zen­trum, das ist ein gro­ßes Haus mit zwei Toren. In das eine kom­men die Waren rein und das ande­re krie­gen wir spä­ter. Oben­drauf steht ein Name und der heißt … — nein, das durf­te man in die­ser Stadt ja lan­ge nicht sagen. Der gehei­me Groß­in­ves­tor scheu­te das Licht der Öffentlichkeit.

Das hat uns hier — Sie erin­nern sich — die Sache nicht gera­de leich­ter gemacht. Das gro­ße Logis­tik­zen­trum wur­de so zu einem klei­nen Brenn­punkt poli­ti­scher und gesell­schaft­li­cher Visio­nen: Mög­lichst kei­ne Ener­gie ver­brau­chen, dafür mit Solar­zel­len. Gro­ße begrün­te Wän­de. Spe­zi­el­le Zu- und Abfahr­ten für den Lie­fer­ver­kehr. Nein, wir haben es uns wahr­lich nicht leicht gemacht mit die­ser Fir­ma, deren Name nicht genannt wer­den darf. Irgend­was mit A…

„A” wie „Abfuhr” — die sich die­ses inter­na­tio­na­le Inter­net­un­ter­neh­men nun geholt hat. War­um? Nun, das wird die Öffent­lich­keit wohl nie erfah­ren — es sei denn, Herr Dezer­nent Mön­ning­hoff plau­dert in sei­nen Memoi­ren aus dem Nähkästchen …

Wie auch immer — der Bann­strahl eini­ger Klein­kö­ni­ge in der Lan­des­re­gie­rung hat unse­ren wahl­kämp­fen­den OB und SPD-Lan­des­vor­sit­zen­den sowie­so schon getroffen.

„Was für Ama­teu­re!”, mögen sich die Lan­des­mi­nis­ter gedacht haben. Und dann erin­ner­ten sich die klei­nen Köni­ge an ihre wich­ti­gen Auf­sichts­rats­pos­ten in einer noch wich­ti­ge­ren AG. An die dor­ti­gen Beschlüs­se dann wohl schon nicht mehr so genau.

Allen vor­an Mis­ter B. — sie wis­sen schon, der aus der ful­mi­nan­ten F‑Partei -: „Das Vor­ge­hen der Stadt Han­no­ver ist abso­lut inak­zep­ta­bel.“ Das fand dann selbst sein Par­tei­freund Engel­ke aus unse­rem Rat zu viel des Fre­chen und hielt fröh­lich-forsch dagegen.

Oder die klei­nen Stra­te­gie-Köni­ge der C‑Riege in der Lan­des­re­gie­rung. Deren Mot­to: Land­ver­kauf nur bei Wohl­ver­hal­ten — das erin­nert mich mehr an die Vieh­ba­ro­ne des Wil­den Wes­tens als an christ­lich-demo­kra­ti­sche Nächstenliebe.

Nun haben wir einen neu­en ange­hen­den Ver­trags­part­ner. Und anders als bei dem Bis­he­ri­gen darf man des­sen Namen sogar öffent­lich nen­nen. Das Unter­neh­men heißt Netra­da – abge­lei­tet aus „Net“ (wie Inter­net) und „Trade“ (wie Han­del). Es wird Sie nicht wun­dern, wenn wir PIRATEN einem Unter­neh­men grund­sätz­lich offen gegen­über ste­hen, das die Chan­cen des Net­zes sieht und nutzt.

Ich ver­ste­he über­haupt nicht, wel­che Pro­ble­me die B- und C‑Riege der Lan­des­re­gie­rung hat. Viel­leicht soll­te sich der — noch amtie­ren­de – Wirt­schafts­mi­nis­ter mal mit die­sen Märk­ten befas­sen, ehe er sich äußert: Mode im Netz ist nicht so old-fashio­ned wie offen­sicht­lich eini­ge Lan­des­po­li­ti­ker. In Euro­pa ist Deutsch­land der zweit­wich­tigs­te Online-Mode­markt. Und da soll die Stadt Han­no­ver nicht zugrei­fen, wenn ein sehr wich­ti­ger Mit­spie­ler aus die­sem Markt sich bei uns wei­ter eta­blie­ren will? Was ist dar­an „inak­zep­ta­bel“, Herr Bode?

Kom­men wir zurück zum Unter­neh­men, über des­sen Erwei­te­rung wir nach der Som­mer­pau­se befin­den wer­den: Wenn wir uns die öffent­li­che Druck­sa­che anschau­en, dann klin­gelt es einem in den Ohren vor lau­ter guten Neu­ig­kei­ten: Ener­gie­arm, begrünt, mit Solar­zel­len, mit kos­ten­lo­sen Park­plät­zen und Job­ti­cket, die Spe­di­teu­re streng auf den Schnell­weg getrimmt — und sogar das Fir­men­ge­bäu­de soll unbe­leuch­tet blei­ben. Es klingt ja fast zu schön, um wahr zu sein.

Und in der Tat gibt es Punk­te, an denen wir sicher noch genau­er nach­ha­ken wer­den: Ein Drit­tel des neu­en Per­so­nals bei Netra­da muss nicht durch die Fir­ma selbst ein­ge­stellt wer­den. Gel­ten da dann auch die Tarif­ver­trä­ge, die die Fir­ma mit der Gewerk­schaft ver.di abge­schlos­sen hat? Und wie ist das über­haupt mit die­sen Ver­trä­gen? Wie wird sich die Stadt bei der Suche nach der Kita-Koope­ra­ti­on ein­brin­gen? Wel­che Aus­wir­kun­gen hat die Ansied­lung auf die Wohn­ge­bie­te am Kronsberg?

Mei­ne Damen und Her­ren, eine Wirt­schafts­an­sied­lung die­ser Grö­ße wirft  immer Fra­gen auf. Die­se Fra­gen müs­sen wir offen stel­len und dis­ku­tie­ren. Aber wir soll­ten im Zwei­fels­fall nicht zuerst nach Hin­der­nis­sen und Pro­ble­men suchen, son­dern nach Lösun­gen. Eine Ansied­lung die­ser Grö­ße birgt natür­lich immer auch Risi­ken in sich. Vor allem aber auch Chan­cen für die Stadt. Chan­cen, die wir nut­zen soll­ten, wenn sie sich bieten.

Ansons­ten blei­ben zwei Erkenntnisse:

Ers­tens: Der Land­tags­wahl­kampf hat begonnen.

Und zwei­tens: US-Ame­ri­ka­ni­sche Unter­neh­men soll­ten weder die poli­ti­schen Gre­mi­en noch die Admi­nis­tra­ti­on deut­scher Groß­städ­te unterschätzen.

Im Eng­li­schen könn­te man sagen: „It’s amazing!”

Und im Übri­gen bin ich der Mei­nung, dass das Logis­tik­zen­trum gebaut wer­den muss.

Vie­len Dank.”